Raum
FreiZeit – FreiRaum – Freiheit
"Was machen wir mit den neusten Entwicklungen bei den Jugendlichen, wenn es um die Frage des Umganges mit Raum und Zeit geht?" In dieser Frage liesse sich die "neueste" Herausforderung der Kinder- und Jugendförderung im Kanton Zürich aus der Perspektive der okaj zürich zusammenfassen. Exemplarisch werde ich versuchen kurz aufzuzeigen, wie die okaj zürich im Rahmen ihrer Koordinations- und Vernetzungsarbeit, die sie nur dank der kantonalen Unterstützung zu leisten vermag, bei solchen Fragen agiert. Dabei lohnt es sich, auch einen Blick in die bald 90-jährige Geschichte unseres Dachverbandes zu werfen.
Kürzlich wurde anlässlich eines Netzwerktreffens der mobilen Jugendarbeit JUMOVE der "Rückzug der Jugendlichen aus den gesellschaftlichen Prozessen" diskutiert. Die Fragestellung lautete, wie diesem zu begegnen sei, bzw. was die Rolle der Kinder- und Jugendförderung dabei sein sollte. Ohne dass es eine Absprache gegeben hätte, beschrieb das Netzwerk der Jugendarbeitenden des Bezirk Horgen zwei Wochen später die Grundthematik hinter der von der JUMOVE aufgestellten Frage. So definierte das Horgener Netzwerk – ohne es zu wissen – einen Ansatz zur Eingrenzung des bei JUMOVE festgestellten Phänomens. Es mache ihnen im Bezirk Horgen zu schaffen, dass die Kinder und Jugendlichen durch die "fürsorgliche Belagerung" überhaupt keinen Freiraum mehr hätten und parallel dazu jeglichen Kontakt, auch zu der Jugendarbeit, mieden. Unser Wissensmanagement (was für ein grossartiger und doch so diffuser Begriff) bestand in diesem Fall in der Herstellung einer einfachen Verbindung bzw. der Weiterleitung des aktuellen Wissens unserer Mitglieder; in der konkreten Situation von der einen (See)Seite auf die andere, also aus einem Netzwerk ins andere. Durch diese Prozesse, in Ergänzung mit der 90-jährigen Erfahrung unseres Dachverbandes, entsteht im Bereich der Förderung der Kinder und Jugendlichen ein komplexes Gebilde an fachlicher Entwicklung und Interessensvertretung. Nur nebenbei bemerkt manifestieren sich anhand der scheinbaren Herausforderungen der Jugendlichen nur allzu oft stellvertretend die tiefliegenden Fragen und Verunsicherungen der "erwachsenen" Gesellschaft; dies wird jedoch nur zu gerne vergessen.
Freie Zeit für Zürich
Unser Dachverband wurde im Dezember 1925 als Verein für Freizeit und Ferien (VFF) gegründet. Ausschlaggebend waren die "bleichsüchtigen und nervösen Jugendlichen" die sich auch durch ihre grossen Belastungen im (lehr)beruflichen Alltag "unliebsam bemerkbar machen". Zu dieser Zeit waren weder Ferien noch Freizeit hochgehaltene Werte und eine gesetzliche Regelung von Ferien im Kanton Zürich existierte nicht. Arbeitszeiten lagen um einiges höher und der Sonntag war der einzige freie Tag. Einer der wichtigsten Gründe für die um diese Zeit ums dreifach gestiegene Sterblichkeit der 16- bis 25-Jährigen war neben den Tuberkuloseerkrankungen die starke Beanspruchung durch die Lehre bzw. durch den Beruf (aus dem Jahresbericht des VFF, 1925).
Freier Raum für Kultur
Die 1960er und vor allem die 1980er Jahre waren geprägt vom Kampf um freie Räume und die damit verbundene Möglichkeit , eine "Alternativ-Kultur" auszuleben. Der VFF engagierte sich anfangs der 1980er Jahre innerhalb der Trägerschaft für ein autonomes Jugendzentrum (AJZ). Aus Angst vor "besetzten Räumen" und gewalttätiger Jugend liessen auch andere Kantone und Städte "rote Fabriken" entstehen. Diese liess man dann in einem Meer von zunächst teil- und später vollbetreuten Jugendtreffs sich weiter "entwickeln". Nicht zuletzt auch wegen dieser "fürsorglichen Belagerung" wurden diese Räume dann von den Jugendlichen verlassen. Die repressiven und präventiven Kräfte der fürsorglichen Erwachsenenwelt liessen sich nicht entmutigen und starteten eine an innovativen Konzepten gespickte Offensive auf den öffentlichen Raum. Und die Reaktion der Jugendlichen darauf? In der Juvenir-Studie der Jacobs- Foundation zum öffentlichen Raum (1.0) beklagen die Jugendlichen die erwachsene Definition von Freiheit, indem sie konstatieren: "Zugewiesene Freiheit ist keine Freiheit!". Und so weichen sie immer mehr in die andere wie z.B. für uns digitale Immigranten, "virtuelle Welten" aus. Dort erleben sie die neue Freiheit in Zeit und Raum und dort behaupten sie sich – noch – gegenüber den Erwachsenen.
Aber wir sind kreativ genug und werden auch diesen Raum zu besetzen wissen. Folgt man der Geschichte des Vereines und der darin und mitverbundenen Entwicklung der Gesellschaft, so könnte man jetzt behaupten, dass die Erwachsenen-Welt auch diesen Raum zu einer "zugewiesenen Freiheit" zu entwickeln wissen wird. Oder aber wir suchen endlich nach konkreten und neuen Wegen der Non-Formalen Bildung. Nach Wegen, bei denen die Handlungsfähigkeit der Jugendlichen klar vor der sozialen Integration steht. Nach einem Weg der Jugendlichen (um nicht von der ganzen Menschheit reden zu müssen) zur Freiheit, die sich zwar kontrollieren lässt, jedoch nicht zugewiesenermassen.
Ivica Petrusic, Geschäftsführer okaj zürich